Zwischen Ende und Anfang: Nachkriegsjahre in Deutschland by Wolfgang Brenner

Zwischen Ende und Anfang: Nachkriegsjahre in Deutschland by Wolfgang Brenner

Autor:Wolfgang Brenner [Brenner, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fachbücher, Politik & Geschichte, Deutsche Politik
ISBN: 9783423430715
Herausgeber: dtv Verlagsgesellschaft
veröffentlicht: 2016-12-08T23:00:00+00:00


5.

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Der Außenseiter

»Adenauer prophezeite das Ende des Sozialismus, da auch dessen Gegenspieler, der Kapitalismus, tot sei.« (›Der Spiegel‹ 11/1947)

Konrad Adenauer ging so in die neue Zeit wie viele in diesen Tagen: Da es Samstag war und die Kleiderkammer des Gefängnisses Brauweiler bei seiner Entlassung geschlossen, war er ohne Schlips und ohne Hosenträger zu Fuß unterwegs.[241] Ein alter, ausgemergelter Mann machte sich auf den Weg in die Zukunft.

Adenauer war nach dem gescheiterten Attentat gegen Hitler vom 20. Juli im Zuge einer umfassenden Verhaftungsaktion in das Kölner Gestapo-Gefängnis gebracht worden. Später saß er im Gefängnis Brauweiler, aus dem er Ende November 1944 vorzeitig entlassen wurde. Die Amerikaner standen nun 90 Kilometer vor Köln. Der zukünftige Kanzler bestieg den Berg hinter seinem Haus und versuchte, sich von dort aus einen Überblick zu verschaffen. Adenauer konnte die Vorhut der US-Truppen auf der Westseite des Rheins bereits sehen. Sie beschossen Stellungen der Wehrmacht. Es dauerte noch Tage, bis die Alliierten den Rhein überquert hatten und in Rhöndorf eintrafen. Die Adenauers verbrachten diese Zeit im Luftschutzkeller. Als sie sich wieder ans Tageslicht wagten, mussten sie feststellen, dass das Haus am Hang einen Treffer abbekommen hatte. Wenig später fuhr ein Jeep mit zwei amerikanischen Soldaten vor. Die GIs hatten den Auftrag, Adenauer nach Köln zu bringen. Er sollte die »Stadtverwaltung übernehmen«.[242] Konrad Adenauer war 70 Jahre alt. Er sah aus wie ein »skelettartiges Gespenst«[243] – aber das fiel nicht weiter auf. Damals sahen viele so aus.

Adenauer glaubte, die Amerikaner würden ihn als besonders fähigen Kommunalpolitiker und Nazi-Gegner kennen und hätten ihn deshalb mit der wichtigen Aufgabe des Bürgermeisteramtes der am stärksten zerstörten deutschen Stadt betraut. Aber die Amerikaner holten sich in allen frisch eroberten Städten einfach die Männer als Bürgermeister, die dieses Amt schon vor 1933 innegehabt hatten. Am 4. Mai 1945 ernannten ihn die US-Besatzer zum Oberbürgermeister von Köln.

Diese aus der Not geborene Vorgehensweise der Besatzer ist ein Grund dafür, dass die deutsche Politik lange von Menschen bestimmt wurde, die den Zenit ihres Lebens eigentlich schon überschritten hatten. Der andere Grund: Es waren keine jüngeren Aspiranten vorhanden. Diese waren im Krieg gefallen, saßen in Kriegsgefangenenlagern oder irrten als Flüchtlinge durch das Land. Es dauerte lange, bis Deutschland den eigentlich nach 1945 notwendigen Generationswechsel nachgeholt hatte – bis weit in die sechziger Jahre. Diese unnatürliche Verlängerung der Verwendung der Vorkriegsgeneration hat die Grundrichtung der deutschen Nachkriegspolitik geprägt: Einerseits tendierten die »alten Männer« in den Entscheidungspositionen aufgrund ihrer Erfahrung zu konservativen Verhaltens- und Sichtweisen. Andererseits bedeutete aber diese Überalterung der politischen Klasse auch, dass viele Macher der Nachkriegszeit kurz vor dem Ende ihrer Karriere standen und deshalb ständig damit gerechnet werden musste, dass sie vorzeitig ausfielen.

Adenauers wichtigste Aufgabe war (wie in anderen Städten und Kreisen auch) die Versorgung der hungernden Bevölkerung mit Lebensmitteln. Wie viele deutsche Städte wuchs auch Köln in den ersten Besatzungswochen rasend schnell durch die Evakuierten, die in ihre Heimatstadt zurückströmten. Dieses »furchterregende Tempo« des Wachstums[244] hielt an, bis die Städte allen Vertriebenen und Evakuierten rigoros den Zugang verweigerten. Zweite Aufgabe des Oberbürgermeisters war die Beschaffung von Wohnraum.



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